Beitrag aus der Zeitung
veröffentlich in der b-Zeitung
Der Aderlass, ein uraltes Naturheilverfahren neu bewertet
Wenn man den Begriff Aderlass hört, denkt man unweigerlich an alte Gemälde mit nachdenklichen Ärzten, Kupferkesseln und blassen Patienten. Doch der Aderlass ist mehr als ein Relikt vergangener Zeiten. Heute erlebt er, wissenschaftlich untersucht und neu bewertet, eine stille Renaissance.
Der Aderlass zählt zu den ältesten medizinischen Verfahren der Menschheit. Bereits im alten Ägypten, später bei Hippokrates und Galen, wurde er eingesetzt, um „überschüssige Säfte“ aus dem Körper zu leiten. Im Mittelalter war er eine gängige Therapie bei fast allen Krankheiten, allerdings oft ohne klares medizinisches Konzept. Mit dem Aufkommen der modernen Medizin geriet der Aderlass dann, wie viele alte, bewährte Naturheilverfahren, zunehmend mehr in Vergessenheit. Inzwischen weiß man, dass er individuell dosiert und fachärztlich begleitet eine sehr wirksame und nebenwirkungsarme Methode ist, um den Körper bei Selbstheilungsprozessen zu unterstützen.
Einen wichtigen Beitrag zur Wiederentdeckung lieferte Prof. Dr. Andreas Michalsen von der Charité Berlin. Er führte eine Studie an Patienten durch, die an einem sogenannten metabolischen Syndrom, als einem Symptomkomplex aus Adipositas, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Hypercholesterin litten. Bei ihnen wurden mehrmals Aderlässe durchgeführt. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Der Blutdruck sank deutlich, ebenso die Blutzuckerwerte. Auch konnte er einen positiven Effekt auf erhöhte Eisenspeicherwerte im Körper, das Ferritin nachweisen. Die Ferritinwerte gingen zurück und auch Entzündungsmarker besserten sich. Weniger gespeichertes Eisen verringert oxidativen Stress, verbessert die Fließeigenschaften des Blutes und entlastet Herz, Gefäße und Stoffwechsel. Insofern kann ein Aderlass besonders bei Herzkreislauferkrankungen, Stoffwechselstörungen, aber auch erhöhten Eisenwerten und chronischen Entzündungen hilfreich sein. Weitere Indikationen sind chronische Kopfschmerzen und Migräne, Müdigkeit, Erschöpfung, Hauterkrankungen oder Rheuma. Im Gegensatz dazu ist bei akuten Infektionen oder Entzündungen, Blutmangel, ausgeprägter Schwäche, niedrigem Blutdruck oder Blutgerinnungsstörungen kein Aderlass möglich. Auch in der Schwangerschaft oder Stillzeit darf er nicht durchgeführt werden. Deshalb erfolgt vor jedem Aderlass eine gründliche Anamnese und Untersuchung, ergänzt durch Laborwerte. Entscheidend ist, dass er individuell angepasst und ärztlich begleitet wird, damit er seine volle Wirkung entfalten kann.
Im Zentrum des Aderlasses steht der Gedanke der Entlastung und Regulation. Es werden über eine Vene in der Armbeuge etwa 100 bis 500 Milliliter Blut entnommen, je nach Konstitution, Indikation und aktuellem Gesundheitszustand. Anders als bei einer Blutspende geht es hier nicht um das Blut an sich, sondern um die Wirkung, die der Blutentzug auf den Organismus hat. Der kurzfristige Volumenverlust führt zu einer „Umverteilung“ des Blutes, die Durchblutung des Gewebes wird angeregt, die Mikrozirkulation verbessert sich, Stoffwechselprozesse kommen in Schwung. In der Naturheilkunde spricht man von einer „Umstimmung“ des Organismus, vergleichbar mit einem sanften Neustart. Der Körper bekommt durch den kurzen, aber gezielten Impuls einen Anstoß zur Selbstregulation.
Fazit: Der Aderlass ist ein uraltes Verfahren, das in der richtigen Dosierung und unter ärztlicher Begleitung erstaunlich zeitgemäß ist. Manchmal genügt ein sanfter Anstoß, der Körper und Geist wieder in Einklang bringt.
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